Hauptversammlungen voraus: Welche Probleme machen virtuelle HVs?
In den kommenden Wochen laden viele Unternehmen zu ihren Hauptversammlungen ein, um das zurückliegende Geschäftsjahr und insbesondere auch die Dividendenvorschläge zu besprechen. Auch nach Corona nutzen viele Firmen dabei die neuen rechtlichen Möglichkeiten von virtuelle Hauptversammlungen. „Börse Global“ hat sich zu den problematischen Aspekten der virtuellen Hauptversammlung mit Robert Peres unterhalten, Rechtsanwalt mit Sitz in Berlin und Wiesbaden sowie Vorsitzender der Initiative Minderheitsaktionäre, die sich für die Stärkung der Aktionärsrechte in Deutschland einsetzt.
„Das Kernproblem ist die Flucht ins Internet durch die Unternehmen“
Wie ist das neue Gesetz zur virtuellen Hauptversammlung zu bewerten?
Robert Peres: Auch wenn das Gesetz noch nicht abschließend bewertet werden kann, da die aktuelle Saison der Hauptversammlungen (HV) ja kürzlich erst losgegangen ist, lässt sich immer klarer feststellen, dass es für die überwiegende Mehrheit der Unternehmen de facto eine Flucht ins Internet bedeutet. Fakt ist, dass der Gesetzgeber sich seinerseits eine Frist von sogar fünf Jahren gegeben hat, um den Erfolg oder Misserfolg der digitalen Hauptversammlung neu zu beurteilen. Während der Pandemie war das bekanntlich oft eine einseitige Veranstaltung, quasi Frontalunterricht. Das soll jetzt wohl das „New Normal“ sein. Die Unternehmen hatten sich eine Verstetigung der virtuellen HV gewünscht, die zunächst temporär während der Kontaktbeschränkungen der Covid-Zeit eingeführt worden ist.
Die Regierung hat mittlerweile aber einfach die Ausnahme zur Regel erklärt. Und das hat Folgen: Trotz der Aufhebung der Corona-Maßnahmen hatte sich nämlich eine Mehrzahl der Dax-Unternehmen bereits im vergangenen Jahr für die virtuelle Option entschieden. Und dieser Trend dürfte sich auch in diesem Jahr in der laufenden HV-Saison fortsetzen. So haben 2024 etwa Siemens, Infineon und Siemens Energy aus dem Leitindex Dax, aber auch Aurubis und Stabilus aus dem MDax ihre Aktionärstreffen bereits rein virtuell abgehalten. Insofern scheint das neue Gesetz vielen börsennotierten Konzernen weiterhin in die Karten zu spielen. Gleiches gilt für Metro oder Thyssenkrupp Nucea aus dem SDax, also Unternehmen aus der hinteren Reihe, die ebenfalls auf den physischen Austausch mit den Anlegern verzichtet haben.
Präsenz-Hauptversammlungen bleiben also eindeutig in der Minderheit. Aus Anlegersicht bringt das natürlich viele Zweifel und Probleme mit sich – denn für die digitale Versammlung wurden einige wichtige Partizipationsrechte eingeschränkt. Dazu fehlt ohne Präsenz aller Beteiligten der Aktiengesellschaft die Möglichkeit der direkten Kommunikation untereinander. Das sollte eigentlich ein wesentlicher Bestandteil der Aktionärsrechte sein, ist es aber leider nicht mehr.
Welche Vorteile haben börsennotierte Unternehmen durch die neue Regelung?
Robert Peres: Börsennotierte Unternehmen haben oft einen weit verbreiteten Streubesitz und daher sind dort Mehrheiten beim stimmberechtigten Kapital manchmal nicht einfach zu erzielen. Insofern können virtuelle Hauptversammlungen ihnen dabei helfen, der Unternehmensführung genehme Entscheidungen herbeizuführen. Oft begründen Unternehmen, die sich für die digitale Form der Hauptversammlung entscheiden, dies mit einer erhöhten Planungssicherheit, dem Gesundheitsschutz und Umweltfreundlichkeit. Gerade der Aspekt der Nachhaltigkeit wird oft als wichtiger Aspekt gegen die Präsenzversammlung genannt. Neben diesen Effekten wird aus Unternehmenssicht vielfach auf die Kostenersparnis verwiesen. Dies ist allerdings ein Scheinargument, wenn man sich die oft extrem hohen Boni der Vorstände anschaut.
Wichtiger als die genannten Gründe ist jedoch aus Sicht des Managements die Risikominimierung.
Vorstände mögen keine Überraschungen. Präsenzhauptversammlungen sind in der Vergangenheit schon öfter aus dem Ruder gelaufen, speziell wenn kontroverse Unternehmensentscheidungen zur Debatte standen. Da wurde es hitzig und laut, es gab zahlreiche kritische und sehr unangenehme Fragen, weil eine richtige kontroverse Debatte aufkam und nachgehakt werden konnte. Das ist in dieser Form jetzt nicht mehr möglich. Auch kann es in einer Präsenzveranstaltung aufgrund der Kommunikation der Anleger untereinander zu unerwarteten Anträgen kommen. Das scheuen die Konzerne.
Was bedeutet das Gesetz aus Anlegersicht?
Robert Peres: Die Aktionärsvertreter hatten bei der Einführung der virtuellen HV Anfang 2020 zähneknirschend zugestimmt, weil damit die Entscheidungsfähigkeit von ca. 14.000 Aktiengesellschafen in Deutschland gewahrt wurde. Mittlerweile sehen wir die neuen Regelungen allerdings sehr kritisch. Dabei geht es sicher nicht um die üblichen Würstchen und den Kartoffelsalat, der virtuell nicht mehr serviert werden kann – sondern darum, dass nun der kritische Dialog mit Vorstand and Aufsichtsrat fehlt. Es fehlt die direkte Interaktion zwischen den Aktionären und dem Unternehmen und bei den Anteilseignern untereinander. Vieles läuft bereits im Vorfeld ab, was zahlreiche Vorstände aus den genannten Gründen natürlich bevorzugen. Bei der digitalen Durchführung kommt außerdem auch das Problem der Technik dazu. Übertragungsfehler gab es im Jahr 2023 beispielsweile während der Hauptversammlungen von TUI, Siemens Energy und Covestro. Deren HV dauerte dadurch sogar über neun Stunden. Das alles kann zu Schwierigkeiten bei der Kommunikation elementarer Informationen führen. Und eine zentrale und bislang nicht beantwortete Frage in diesem Zusammenhang lautet: Wer haftet eigentlich dafür? Gibt es aber andererseits einen Internetausfall beim Empfänger, wird ihm das unmissverständlich zugerechnet – und ein Anfechtungsgrund ist dann ausgeschlossen. Hier mangelt es eindeutig an der Fairness.
Welche Probleme gibt es für Aktionäre aus rechtlicher Sicht?
Robert Peres: Grundsätzlich sollten die Aktionärsrechte laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung in einer virtuellen Ausgestaltung der Hauptversammlung gegenüber der klassischen Form gleichwertig sein. Leider ist das bei der gesetzlichen Regelung aber ganz klar nicht der Fall. Zwar sind gegenüber dem Referentenentwurf einige Benachteiligungen der Aktionäre bezüglich des Antrags- und Fragerechts entschärft worden, jedoch steckt oft der Teufel im Detail. Um ein Beispiel zu nennen: Bei der Vorab-Einreichung von Fragen kann das Fragerecht bereits mit der Einladung beschränkt werden. Nicht über die Fragen adressierte Themen können dann auch nicht über das Nachfragerecht eingeführt werden. Bei sogenannten „verspäteten Fragen“ steht es im Ermessen des Vorstands, diese zuzulassen. Das widerstrebt dem Transparenzgedanken – und dabei ist Transparenz ein enorm hohes Gut.
Wie können juristisch problematische Aspekte der virtuellen HV gelöst werden?
Robert Peres: Das Kernproblem ist die schon angesprochene Flucht ins Internet durch die Unternehmen. Im Grundsatz sollten alle Hauptversammlungen, ob virtuell oder in Präsenz, nach den bisher geltenden Regeln ablaufen. Der Gesellschaftsrechtsexperte Prof. Heribert Hirte von der Uni Hamburg hatte bei einer Anhörung im Bundestag die Möglichkeit der hybriden HV ins Spiel gebracht. Diese Lösung hätte den meisten Charme, denn sie eröffnet den Aktionären die Wahl zwischen Präsenzveranstaltung und digitaler Teilnahme. Sie würde auch die allgemeinen Teilnehmerzahlen erhöhen, die derzeit noch immer bei etwa 67 Prozent liegen. Das ist deutlich ausbaufähig.
Bei hybriden Hauptversammlungen sehen die Unternehmen aber offenbar zu viel Rechtsunsicherheit, daher hat sich hier noch keine große Gesellschaft herangetraut – und im Gesetz steht dazu auch nichts. Allerdings hat man beim Vereinsrecht gerade die Mischform von Anwesenheit und digitaler Zuschaltung gesetzlich ermöglicht. Das sollte unbedingt auch für Aktiengesellschaften gelten.
Herr Peres, vielen Dank für das Gespräch.
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